Vater unser – ein Gespräch mit Gott
Vater unser im Himmel ...
Ja?
Unterbrich mich nicht! Ich bete.
Aber du hast mich doch angesprochen!
Ich dich angesprochen? Äh ... eigentlich nicht. Das sagen wir halt so: Vater unser im Himmel.
Da, schon wieder! Du rufst mich an, um ein Gespräch zu beginnen, oder? Also, worum geht’s?
Geheiligt werde dein Name ...
Meinst du das ernst?
Was soll ich ernst meinen?
Ob du meinen Namen heiligen willst? Was stellst du dir denn überhaupt darunter vor: „heiligen“?
Es bedeutet ... es bedeutet ... meine Güte, ich weiß nicht, was es bedeutet! Woher soll ich das wissen!
Es heißt, daß du Respekt vor mir hast, daß ich dir wirklich wichtig bin, daß dir mein Name wertvoll ist.
Aha. Hm. Ja, das verstehe ich. Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden ...
Willst du das wirklich?
Keine Ahnung. Ich gehe halt immer wieder mal in den Gottesdienst. Aber eigentlich weiß ich gar nicht, was du überhaupt willst.
Mein Sohn hat es euch gesagt: Ich will, daß dein Leben in Ordnung kommt, daß deine Angewohnheiten aufhören, mit denen du dir und anderen schadest, daß du nicht nur an dich selber denkst, sondern auch an die anderen; daß allen Menschen auf meiner Erde geholfen wird, auch deinem Lehrer, deinen Eltern, eurem Vermieter und dem, den du überhaupt nicht ausstehen kannst. Ich will, daß Kranke geheilt werden, daß Hungernde zu essen bekommen, Trauernde getröstet werden und Gefangene befreit werden. Was du für diese Leute tust, das tust du für mich.
Warum hältst du das ausgerechnet mir vor? Was kann ich denn dafür, wenn es Leuten hier schlecht geht, du hast doch diese Welt so gemacht wie sie ist, du läßt die Leute hungern, wenn du es nicht regnen läßt, du bist schuld, wenn nicht genügend wächst.
Entschuldige! Ich dachte, du betest wirklich darum, daß mein Reich kommt und mein Wille geschieht. Das fängt nämlich bei dem an, der darum bittet. Erst wenn du dasselbe willst wie ich, kannst du ein Botschafter meines Reiches sein.
Das leuchtet mir ein. Kann ich jetzt weiterbeten? Unser tägliches Brot gib uns heute ...
Hast du „uns“ gesagt? Wen meinst du denn damit? Dich und deine Familie oder deine Freunde? Willst du nur mehr Taschengeld für Chips oder geht es dir wirklich darum, daß jeder soviel zum Essen hat wie er braucht?
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern ...
Und Mirko?
Wie - Mirko? Was hat der damit zu tun? Daß das ein asozialer Schlägertyp ist, das weißt du nicht? Ich hab’ das noch nicht vergessen, wie er meinen besten Freund verprügelt hat, bloß weil er an ihm vorbeigegangen ist.
Doch, ich weiß, ich war dabei. Glaubst du nicht, es tut mir weh, wenn ihr euch etwas antut? Du weißt ja, mein Sohn ist an eurer Unmenschlichkeit gestorben. Überlaß den Mirko mir, du weißt ja gar nicht, was wirklich mit ihm los ist. Außerdem hast du ja selbst darum gebeten, daß du ihm verzeihen kannst.
Ich meinte es nicht so.
Du bist wenigstens ehrlich. Macht dir das eigentlich Spaß, mit soviel Frust und Wut im Bauch herumzulaufen?
Es macht mich krank.
Ich will dich heilen. Vergib Mirko, und ich vergebe dir. Vielleicht versteht dein Freund dann erst einmal die Welt nicht mehr, aber du gewinnst den Frieden – und dein Freund wird es von dir lernen.
Hm, ich weiß nicht, ob ich mich überwinden kann.
Ich helfe dir.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.
Nichts lieber als das! Meide bitte Personen und Situationen, durch die du versucht wirst.
Wie meinst du das?
Du kennst doch langsam deine schwachen Punkte. Deine Gleichgültigkeit, deine Aggressivität, deine Faulheit, daß du nie genug kriegen kannst und hinterher tut es dir leid. Gib dem Versucher keine Chance.
Ich glaube, das ist das schwierigste Vaterunser, das ich je gebetet habe. Aber es hat zum erstenmal etwas mit meinem Leben zu tun.
Schön, wir kommen vorwärts. Bete ruhig zu Ende.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Weißt du, was ich herrlich finde? Wenn Menschen wie du anfangen, mich ernst zu nehmen, wirklich mit mir zu reden. Wenn sie wieder intensiv leben und sehen wie glücklich sie dabei sind.
("Vielleicht schaffe ich das auch...")